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Der Verdacht wiegt schwer: Seit Jahren ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Frankfurter Polizisten Johannes S. Der Verdacht: Er soll an der „NSU 2.0“-Drohserie beteiligt gewesen sein, die ab dem Sommer 2018 zunächst die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız ins Visier nahm und danach dutzende weitere Betroffene.

Auf dem Polizeirevier von Johannes S. waren zuvor ohne dienstlichen Grund die Daten von Başay-Yıldız abgerufen worden, der 34-Jährige war für seine rechtsextreme Gesinnung bekannt. Nun aber stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn ein.

Das Verfahren sei bereits im Dezember eingestellt worden, da kein hinreichender Tatverdacht begründet werden konnte, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main der taz.

Zu weiteren Einzelheiten wollte er sich nicht äußern. Es sei aber bereits Beschwerde gegen die Entscheidung eingereicht worden, so der Sprecher.

Diese Beschwerde kommt von Başay-Yıldız und ihrer Anwältin Antonia von der Behrens. Die Einstellung sei „derzeit nicht nachvollziehbar“, sagte von der Behrens. „Die Fülle der Indizien gegen Johannes S. lässt für mich weiterhin nur den Schluss zu, dass er mindestens am ersten Drohschreiben beteiligt war.“

Tatsächlich gibt es gleich mehrere Punkte, die Johannes S. belasten. So war Johannes S. während des Datenabrufs zu Başay-Yıldız, am 2. August 2018, im Revier im Dienst.

Der Rechner war damals zwar mit einem Passwort geschützt – dieses war aber allen Po­li­zis­t*in­nen im Revier bekannt.

Kurz darauf folgte das erste „NSU 2.0“-Schreiben an Başay-Yıldız, das den Namen ihrer damals zweijährigen Tochter enthielt, die mit dem Tod bedroht wurde. Versandt wurde es über einen Onlinefax-Anbieter, verschlüsselt über einen Tor-Browser.

Auch Johannes S. war mit Tor-Browsern vertraut, er hielt darüber in seiner Polizeiausbildung einen Vortrag.

Zudem war er für seine rechtsextreme Gesinnung bekannt. Ermittler fanden Jugendfotos von ihm mit Hitlergruß.

In einer Chatgruppe mit Kolleg*innen, dem „Itiotentreff“ zog er über Migranten oder Behinderte her, postete NS-Bildchen.

Auf seiner Hochzeittorte wurde er stilisiert in SS-Uniform dargestellt, am Kragen der Dienstgrad eines „Obersturmbannführers“ – so nannte sich auch der „NSU 2.0“-Schreiber.

Zudem fanden sich auf dem Handy von Johannes S. Onlinesuchen nach „Yildiz in Frankfurt“ und Filmzitate, die später auch in „NSU 2.0“-Schreiben auftauchten.

Geht es noch offensichtlicher?

Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb gegen Johannes S. wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt.

Geprüft wurde nicht nur, ob er die Daten von Başay-Yıldız im Revier abgerufen hatten, sondern auch ob er an den ersten Drohschreiben der „NSU 2.0“-Serie selbst beteiligt war.

Dies aber sah die Staatsanwaltschaft nach taz-Informationen am Ende nicht als nachweisbar an. Tatsächlich ist für die „NSU 2.0“-Serie Ende 2022 ein arbeitsloser Informatiker aus Berlin, Alexander M., verurteilt worden.

Schon in dem Prozess hatte die Staatsanwaltschaft erklärt, es hätten sich keine Hinweise auf Mittäter ergeben, auch nicht auf Johannes S.

Auch bei Überwachungsmaßnahmen soll nichts Belastendes gegen den Polizisten gefunden worden sein. Die Staatsanwaltschaft hielt daher am Ende eine Verurteilung nicht für wahrscheinlich.

Auch gegen eine Kollegin von Johannes S., Miriam D., wurde bis zuletzt ermittelt – und auch ihr Verfahren ist nun eingestellt.

Die 38-Jährige stand ebenso unter Verdacht an der „NSU 2.0“-Serie beteiligt gewesen zu sein, weil an ihrem PC die Daten von Başay-Yıldız abgerufen wurden.

Auch hier sah die Staatsanwaltschaft letztlich aber keinen hinreichenden Tatverdacht. Man habe bis zum Schluss nicht klären können, wer im Revier die Abrufe tatsächlich vornahm.

Die Anwältin von Seda Başay-Yıldız, Antonia von der Behrens, kritisierte dagegen nicht nur die Verfahrenseinstellung, sondern auch, dass vor dieser Entscheidung eine beantragte Akteneinsicht für Basay-Yildiz nicht gewährt wurde.

„Es ist symptomatisch für die Verfahrensführung durch die Staatsanwaltschaft, die Geschädigte nicht oder zu spät zu informieren.“ Die Beschwerde gegen die Einstellung wird nun die Staatsanwaltschaft nochmal prüfen oder der Generalstaatsanwaltschaft vorlegen.

Gegen Johannes S. und Miriam D. ist indes weiterhin ein Verfahren wegen Volksverhetzung wegen der „Itiotentreff“-Chatgruppe offen.

Das Landgericht Frankfurt lehnte hier einen Prozess bisher ab, weil die Chatgruppe nicht öffentlich gewesen sei – für eine Volksverhetzung brauche es aber eine größere Öffentlichkeit.

Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein. Laut einer Sprecherin des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main ist darüber weiterhin nicht entschieden.

Die fünf damals an der Chatgruppe beteiligten Beamten sind derweil weiter suspendiert, vier von ihnen beziehen aber bis heute ihre Bezüge. Ihre Disziplinarverfahren sind wegen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ausgesetzt und werden erst nach Abschluss fortgesetzt.